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"An der Hoffnung festhalten" - Predigt am Heiligabend 2017


Wir dokumentieren hier die Predigt, die Pastor Dr. Olaf Wassmuth in der Christvesper unserer Gemeinde am Heiligabend 2017 hielt.

Der Predigt ging eine kurze Spielszene voraus: "Die Hirten und der Strohhalm" - nach einer Geschichte aus Mexiko.

Liebe Festgemeinde, liebe Erwachsene, liebe Kinder,

bloß nichts ändern! Das ist in unserer Familie die Haltung der Kinder zu Weihnachten. Vor drei Jahren machte meine Frau den Vorschlag, Weihnachten doch mal amerikanisch zu feiern: mit Geschenken am 25. Dezember morgens, mit Kamin und Pyjama. Statt Bescherung am Heiligabend, wo wir als Pfarrersfamilie ja immer so wenig Ruhe haben. Wir haben das tatsächlich gemacht; aber es lief nicht gut. Die Kinder regen sich heute noch auf: Was für eine blöde Idee das war! Dieses Jahr fanden wir Eltern, wir sollten den Weihnachtsbaum mal in einem anderen Zimmer aufstellen als sonst. Es hagelte Proteste. Kinder können unglaublich konservativ sein.

Weihnachten ist für viele von uns etwas, woran man nichts ändern darf. So vieles ändert sich ja. In der Welt und in unserem Leben. Aber gerade deshalb sollen bestimmte Dinge bitteschön bleiben wie immer. Geht Ihnen und Euch das auch so? Wird es heute Abend etwas geben, was unbedingt so gemacht werden muss, weil das immer schon so war? Auch wenn keiner weiß, warum?

Ein Gefühl greift um sich: dass die Welt ins Rutschen gerät. Da ist es umso wichtiger, Fixpunkte zu haben. Dinge, die uns Vertrautheit und Sicherheit vermitteln. An die man sich sozusagen „halten“ kann.

Doch Äußerlichkeiten sind Äußerlichkeiten. Wo der Weihnachtsbaum steht und was genau man in seine Zweige hängt, ist, nüchtern betrachtet, völlig egal.

Unsere Weihnachtsbräuche, die kollektiven und die persönlichen, stehen doch für etwas Anderes. Für unsere Verbindung mit einer Geschichte. Und auch diese Geschichte selbst steht für etwas anderes: Für die Hoffnung, die uns am Leben hält.

Ja, nichts brauchen wir in dieser Zeit mehr als Hoffnung.

Was haben wir nicht alles diskutiert in diesem Jahr. Analysiert. Den Kopf geschüttelt. Uns an den Kopf gefasst.

Wie hat es uns aufgeregt, dieses Jahr – ratlos gelassen und manchmal verzweifelt. Oder wir haben uns abgewendet, weil wir es alles nicht mehr hören konnten.

Es ist so leicht: abzugleiten in Fatalismus. Es geht so schnell: zu versinken in Depression.

Das wussten die Menschen schon in der Zeit der Bibel, im Neuen Testament. Ein paar Jahrzehnte nach der Geburt Christi wendet sich der unbekannte Autor des Hebräerbriefes an seine müden Mitchristen (10,23):

„Lass uns festhalten am Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken. Denn treu ist der, der sie verheißen hat.“

Direkt hat dieser Vers aus dem Neuen Testament nichts mit Weihnachten zu tun. Aber er hat mich durch dieses Jahr geleitet. Und ich denke daran, wenn ich die Krippe sehe und das Kind. Wenn ich die Geschichte höre, die schon 2000 Jahre alt ist. Festhalten an der Hoffnung. Darauf kommt es heute an.

Der Hirte Benni in unserer Spielszene klammert sich an seinen Strohhalm – nicht, weil er etwas wert wäre, sondern weil der Strohhalm eine Art Pfand ist, ein Merkzeichen für das Erlebnis, das ihm Hoffnung gibt.

Unsere Weihnachtsbräuche, an denen wir so gerne festhalten – unter denen der Strohhalm von der Krippe als Strohstern weiterlebt –, sind nicht wertvoll an sich. Sie sind wertvoll als Pfand und Merkzeichen für eine Geschichte, die uns zur Hoffnung erzählt wird.

Lasst uns festhalten an der Hoffnung. Lasst uns festhalten an dieser Geschichte:

Lasst uns festhalten am Kind in der Krippe.

Es steht für die Würde und den Glanz, der bei Gott auf allem Geringen liegt; für das Recht der Schwachen, der Loser und Opfer in einer Welt der Stärke. „Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen“ – das bekennt Maria im Lukasevangelium ein paar Monate vor der Geburt ihres besonderen Kindes.

Lasst uns festhalten am „Frieden auf Erden“.

Die Engel über Bethlehem singen für eine Welt, in der die Völker sich nicht als Konkurrenten begreifen, die einander ausstechen und darum streiten, wer der größte ist. Als Christen hoffen wir auf eine Erde, auf der jede und jeder einen Platz hat, auf Respekt und gutes Leben für alle. Eine Welt des Miteinander, nicht des Gegeneinander.

Lasst uns festhalten am „Ehre sei Gott in der Höhe“.

Es mag uns heute am fremdesten scheinen und ist doch das Wichtigste. Dass wir uns selbst nicht überheben. Dass wir Maß halten mit unseren Ansprüchen und wissen, wem wir unser Leben verdanken. Es dreht sich nicht alles um mich – oder dich. Und das ist gut so. Darum stimmen wir ein: Gloria in excelsis deo.

Liebe Festgemeinde,

die Geburt Christi ist nicht einfach Folklore. Diese Geschichte steht für etwas. Für die Heilung des Menschen von sich selbst. Von Hybris, Gier und Gewalt. Diese Geschichte steht für Werte und Visionen, die verloren gehen können. Lasst uns festhalten an der Hoffnung.

Und wie geht das? Das Festhalten?

Die Hirten in der Geschichte (und auch eben in der Spielszene) machen es uns vor. Sie erzählen weiter, was sie erlebt haben. Sie reden über ihre Hoffnung.

Zu lange haben wir gedacht, bestimmte Dinge verstehen sich von selbst. Da braucht man gar nicht drüber zu reden. Wir sind womöglich einfach davon ausgegangen, dass „christliche Werte“ unsere Gesellschaft leiten.

Wir merken heute: Gar nichts versteht sich von selbst. Es versteht sich nicht einmal von selbst, dass Christen für die Botschaft Christi eintreten.

Lasst uns festhalten an unserer Hoffnung, indem wir den Mund aufmachen und darüber reden. Solche Hoffnung kann schwach sein, mehr Wunsch als Erwartung.

Vielleicht sagen Sie: Ich glaube eigentlich wenig. Vielleicht denken Sie: Ich bin eher Realist. Dann reden Sie über das, was Sie sich wünschen. Auch Wünsche, mögen sie unserer inneren Zensur noch so verdächtig sein, sind im Kern Hoffnungen, die uns leiten. Wer sich nicht mehr traut, seine Ideen vom guten Leben für alle auszusprechen, hat sie schon aufgegeben.

„Lasst uns festhalten am Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken. Denn treu ist der, der sie verheißen hat.“

Der letzte Satz in diesem Vers ist der wichtigste.

Weihnachten ist für uns Christen der Tag, an dem das Wünschen geholfen hat. Das Unterpfand und der Fixpunkt unserer Hoffnungen.

Denn noch wichtiger, als dass wir unsere Hoffnungen festhalten, ist, dass Gott uns festhält. Dass „unsere Wohlfahrt befestiget steht“, wie es im Weihnachtsoratorium heißt.

Ja, es kann passieren, dass uns Menschen die Orientierung verloren geht. Ja, die Stimme der Hoffnung kann verstummen. Aber die Hoffnung selbst ist fest gegründet.

Es ist der Kern unseres Weihnachtsfestes, der Grund allen Jubels, dass Gott diese Welt nicht verloren gibt.

Und egal, was wir Menschen tun, welche verrückten Ideen wir haben, wie unwürdig und albern wir uns auch aufführen:

An Gottes Liebe zum Menschen ändert sich nichts.

Amen.

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